Judith Hamann: „wasche meine Hände“

Eröffnungsrede Rahel Puffert
Kassenärztliche Vereinigung Hamburg

6.April 2011

Mit der Entscheidung Judith Haman hierher einzuladen, um die Räume mit Kunst zu bespielen, hat sich die Kassenärztliche Vereinigung auf ein Wagnis eingelassen, zu der man sie nur beglückwünschen kann. Üblicherweise wird diese Einladung von Künstlern dazu genutzt, um die Wände mit Bildwerken zu bestücken. Im Vorfeld hergestellte Malereien, Collagen, Drucke oder Fotografien werden an den zur Verfügung gestellten Flächen ausgestellt und der Betrachtung an heim gestellt. Später werden sie dann wieder abgehängt, um an einem anderen Ort präsentiert zu werden.

Judith Haman ging anders vor. Haman nutzte die Aufforderung, ihre Arbeit in diesen Räumen präsentieren, zunächst dazu, sich mit dem Ort selbst zu befassen.

Wo befinde ich mich hier? Womit beschäftigen sich die Menschen, die hier arbeiten? Was hat diese Einrichtung für eine Geschichte?

Ausgestattet mit diesen Fragen begann Haman eine Recherche, trug Materialien zusammen und versuchte sich ein Bild zu machen. Haman ist nicht fertig geworden und es ist kein einheitliches Bild, kein Schluss entstanden, der sich etwa in Ölfarbe übersetzen, rahmen und an die Wand hängen ließe. Entstanden ist eine Ansammlung von Dokumenten, Bildern, Büchern Zeitungsartikeln und Gegenständen, die zu einer Rauminstallation oder -inszenierung zusammengestellt, alle anderen – uns – dazu auffordern, sich an ihrer Suche zu beteiligen.

Dabei lassen sich aus den Versatzstücken der hier zusammengestellten Dinge Gedankenketten nachvollziehen, die Judith Haman bewegt haben und die ihre Recherche zu einem Fragekomplex werden lassen. Komplexe sind aus verschiedenen Gefühlen, Gedanken und Vorstellungen zusammen geflochtene, verdichtete Bündel. In der Psychologie und in der Kunst tauchen sie auf und erschweren den Zugang, weil hier Dinge in eine Beziehung gesetzt werden, die nach normalem Verständnis getrennt verhandelt werden. Komplexe erzeugen in der Regel Widerstand. Man weicht aus, versucht den Irrungen und Wirrungen die tendenziell Überforderung produzieren, zu entgehen. Verschiebt, verdrängt, geleugnet.

Den Einstieg in das hier Gezeigte bildet eine Waschmöglichkeit als Zeichen jener Handlung, die meist am Beginn einer ärztlichen Untersuchung steht. Das Waschen der Hände. Keimfreiheit, Sauberkeit als notwendige Bedingung von Professionalität.

Konfrontiert wird das alltägliche Utensil mit einer Reihe von kunsthistorischen Zitaten, die alle das Thema der Reinwaschung des Pontius Pilatus zum Thema haben.
Pilatus war vor einem Fall gestellt, der ihn in ungewöhnlicher Weise mit seiner Funktion als Rechtsprecher konfrontierte. In Jesus begegnet er einem Angeklagten, dessen Schuld er nicht recht zu erkennen vermag, gleichzeitig drängt das Volk ihn zu einer Entscheidung. Es verlangt, Jesus als Gotteslästerer zu verurteilen. Pilatus ist unsicher, zweifelt. Soll er Jesus Glauben schenken und hierauf seine Entscheidung gründen oder soll er angesichts der Unmöglichkeit die Wahrheit beweisen zu können, dem politischen Kalkül Folge leisten? Pilatus gibt schließlich dem Verlangen des Volkes statt. Den übrig gebliebenen inneren Widerstreit löst er durch die berühmten Worte „ich wasche meine Hände in Unschuld“.

Der ursprüngliche Sinn der symbolischen Waschung – wir kennen sie von der Taufe – bedeutete die rituelle Reinigung der möglicherweise befleckten Hände vor dem Gebet.

Pilatus Geste hat allerdings eine Bedeutungsverschiebung eingeführt, die in unserem Sprachgebrauch als geflügelte Wendung für eine heuchlerische Unschuldsbekennung Bestand hat. Nicht handelt es sich um die Anerkennung der eigenen Sündhaftigkeit – sondern um die demonstrative Beteuerung der eigenen Schuldlosigkeit.

Pilatus wäscht sich nicht frei von möglicher Schuld. Er wäscht seine Hände „in Unschuld“. Er präsentiert sich als Ausführungsorgan, als Täter ohne Verantwortung, als Vollstrecker ohne eigenen Anteil an der Tat.

Im Zentrum dieser Räumlichkeiten sind Fakten zusammengetragen, die die grausame Umstrukturierung der ärztlichen Versorgung während des Dritten Reichs in Hamburg dokumentieren. In ihrem Buch „Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung „nicht arischer“ Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945“ legte Anna von Villiez eine umfassende historische Aufarbeitung dieses noch relativ unerforschten Kapitels deutscher Vergangenheit vor. Nachzulesen ist hier wie bereits wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 jüdische Ärzte, die in Behörden, Hospitälern und Wissenschaft tätig waren, entlassen wurden. Man entzog ihnen ihre Praxis- und Krankenkassenzulassungen, um sie durch arische Kollegen zu ersetzten. Berufsverbote, Degradierung zu „Krankenbehandlern“, Verfolgung, Stigmatisierungen folgten.

Ihrer Existenzgrundlagen beraubt, retteten sich über 340 von ihnen in die Emigration, einige wählten den Freitod, um den nach 1938 einsetzenden Deportationen und damit den menschenverachtenden Gräueln der Konzentrationslager und der Ermordung zu entgehen. 34 jüdische Hamburger Ärzte konnten diesem Schicksal nicht ausweichen. In Lagern wurden sie getötet.

Villiez’ Buch zeichnet aber auch die unrühmliche Rolle nach, die sowohl der Ärztekammer als auch der Kassenärztlichen Vereinigung, an deren Gründung ehedem jüdische Mediziner maßgeblich beteiligt waren, in dieser Zeit spielten. Widerstandslos fügten auch sie sich der zentralistischen Umorganisation und setzten um, was der Reichsinnenminister Wilhelm Frick 1934 zum neuen Programm erhob: Um das erklärte Ziel der Rassereinheit zu erreichen, war es nun Aufgabe der Ärzte, „den deutschen Volkskörper“ von der „jüdischen Krankheit“ zu kurieren.

Von „Säuberungsaktionen“, „Reinrassigkeit“, der „Reinigung von unerwünschten Elementen“ ist die Rede. Sozialhygiene – das bedeutete „schmutzige junge jüdische Arzte auszuscheiden“. Auffällig ist, dass die nationalistische Politik der Rassentrennung, -selektion, -verfolgung, und -ausrottung sprachlich durch ein Vokabular der Reinigung vermittelt wird.

Es gibt keine saubere Lösung, mit dem sich auf das pervertierte Bild der Reinheit antworten ließe. Die deutsche Geschichte hat uns zu Erben einer moralischen Katastrophe werden lassen, die unlösbare Probleme aufwirft. Sie lässt sich nicht bereinigen, glätten oder aus der Welt schaffen.

Lose Blätter, ungerahmte Bilder, an dünnen Fäden befestigte Bücher. Judith Hamans Arbeit präsentiert eine fragile Anordnung von Fragmenten, deren Schutzlosigkeit und Lückenhaftigkeit dazu auffordert, dass wir uns ihrer annehmen und für sie Sorge tragen. Und dieses trotz und gerade weil der so verführerische Zustand von Schuldlosigkeit unerreichbar bleibt.

Es ist kein Wunderdoktor in Sicht, der die Wunden der Geschichte heilen könnte. Im Gegenteil, an dieser Stelle sind wir und selbst die Ärzte gefragt, den Schmerz wach zu halten, damit das Gewissen sich wieder regt.

 

Rahel Puffert, April 2011

  

Literatur:
Anna von Villiez: Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung „nicht arischer“ Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945 (hg. v. Stefanie Schüler-Springorum und Andreas Brämer), München/Hamburg 2009
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Rassenhygiene als Schulfach" aus: Die Chronik der Medizin, Heinz Schott-Chronik-Verlag
Alexander Demandt, Hände in Unschuld, Pontius Pilatus in der Geschichte, Böhlau Verlag, Köln 1999

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